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Musiklehre

Musiklehre

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Musik zu erläutern ist sinnlos. Entweder sie erschließt sich einem oder eben nicht. Entweder sie rührt an, regt auf, bewegt etwas oder sie lässt einen kalt. Wo Töne nicht ankommen, helfen auch keine Worte weiter.

Bei dem Köln Concert möchte ich eine Ausnahme machen. Weil es eine Ebene hinter der Musik gibt. Zumindest für mich.

Zwei Gründe, warum man es hören sollte. Immer wieder.
Keith Jarret improvisiert. Dieser Satz, der sich so leicht liest, bedeutet in der Konsequenz, dass dieser Mann eine Bühne betritt in dem Wissen, dass über tausend Menschen im Publikum sitzen mit der frohen Erwartungshaltung für ihr bezahltes Eintrittsgeld nun auch entsprechendes Entertainment zu erhalten. Er hat aber nichts. Außer sich selbst. Er weiß noch nicht was kommt, ob etwas kommt. Er muss darauf vertrauen, dass es im richtigen Moment einsetzt. Jeder, der schon einmal vor einem weißen Blatt Papier saß oder auf die zündende Idee gehofft und gewartet hat, der kann sich ausmalen, welch immensen Druck dies bedeutet, wie klar und fokussiert der Kopf sein muss, wie frei der Weg zum Herzen, wo sie sich verstecken, die Töne.
Das hört man dem Stück an. Dieses Herausbrechen. Dass es kein Abspielen ist, kein Wiedergeben von etwas bereits Bekanntem, dass da nichts Einstudiertes ist. Sondern manchmal ein Vulkan und dann wieder ein sanfter Strom seinen Weg findet. Das trifft dann. Mittenrein. Mich zumindest.

“Solokonzerte sind so ziemlich die enthüllendste psychologische Selbstanalyse, die ich mir vorstellen kann”,

hat er selbst dazu gesagt. Vor dieser Verletzlichkeit, dieser Offenheit, die so schwer ist, die so weh tun kann, verneige ich mich und sie tut alles, aber kalt, kalt lässt sie mich nicht. Und hilft darauf zu vertrauen und dem zu trauen, was in einem steckt.

Dann ist da noch etwas, das nur ganz weit entfernt mit Keith Jarret oder dem Jazzgenre zu tun hat. In Minute 6:04 hustet ein Mann. Ich glaube, es ist ein Mann. Weil es so ein dunkles, kehliges Husten ist. Eines, dass er noch zu unterdrücken versucht. 
Ich frage mich manchmal, wer dieser Herr wohl ist, der jetzt für immer auf einer der größten Musikaufnahmen dieser Zeit verewigt ist. Vielleicht hatte er überhaupt keine Lust auf den Abend, ist nur seiner Frau zuliebe mit, einmal die Woche zum Kulturprogramm verpflichtet. Es sind die kleinen Zugeständnisse, die eine Ehe erträglich machen. Da sitzt er nun, es kratzt im Hals und da hilft kein leichtes Räuspern und kein Herunterschlucken mehr. Vielleicht hat er dafür einen Schubs mit dem Ellbogen in die Seite kassiert oder zumindest einen strafenden Blick. Egal.
Denn er ist nun für immer auf dieser Aufnahme zu hören. 
Das war ihm damals sicher nicht bewusst. Ein Abend wie jeder andere, müde von der immer gleichen Büroarbeit, der Stau im Feierabendverkehr, der an den Nerven zehrt, Fußball schauen wäre ihm lieber gewesen, aber das Konzertabo muss sich rechnen. Und dann das: Festgeschrieben und eingebrannt in die Musikgeschichte. Verewigt auf 3 1/2 Millionen verkauften Tonträgern. Für immer.

In meiner Küche hängt ein Spruch. “Enjoy it. Because it is happening“. Der hängt da, weil ich sehr viel und gerne Zeit in der Küche verbringe. Aber oft vergesse, da zu sein. Nicht in der Küche, sondern bei dem, was ich tue. Ich hänge vergangenen Tagen, Wochen, Zeiten hinterher oder träume mich in eine glänzende Zukunft. Was erst sein wird, wenn ich dies und das gemacht habe, damit fertig bin und überhaupt. Nur das Dazwischen, das Mittendrin – da zu verweilen wo ich gerade bin fällt mir schwer. Dabei sitze ich vielleicht gerade mitten in einem Köln Concert und merke es nicht. Es wird nie wieder so aufgespielt wie heute Abend. Es gibt keine Vorankündigung  für die großen Momente des Lebens. Kierkegaard hat gesagt, dass das Leben nach vorne gelebt und nach hinten verstanden wird. Erleben geht nur mittendrin.

Musik bedarf keiner Erläuterungen. Aber wenn der Kopf und das Herz einmal geweitet sind, können sie auch nicht einfach wieder zurück. “A mind once stretched can never go back to it´s old dimensions”, habe ich einmal gelesen. Wenn ich das Köln Concert höre, dann höre ich es manchmal einfach nur, weil es mich so unendlich ruhig macht. Aber manchmal wenn es so zufällig in der Playlist auftaucht, dann schwingen auch diese zwei Gedanken mit, die ich gerne immer wieder vergesse: Dass ich dem Leben und mir vertrauen darf und nichts zu tun habe, außer den Moment zu genießen, weil er das einzige ist, was wir haben.
Funktioniert natürlich auch ohne dieses Stück. Für wahrscheinlich sehr viele Mensch. Mir tut diese sanfte Erinnerung ab und zu gut.
Genug erläutert.
Der Rest ist Leben.

View Comments (4)
  • Ich bekam das Köln Concert von Herzen geschenkt. Und bin darin eingetaucht. Somit erfüllen Deine Worte dazu mein Herz heute sehr.
    Danke!

  • das ist so ein schöner text, stepanini. so ein schöner. lese ihn jetzt zum fünften mal. mindestens – und nicht letztens. gute stille, gute gedanken, gutes leben für dich!

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