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Keine Angst

Keine Angst

Das Fürchten verlernen . Dazu muss man sich erst einmal eingestehen, dass da welche ist. Furcht nämlich. Die enorme Kraft, die aufgewendet wird, sie nicht zu sehr zu spüren und vor ihr davon zu laufen, lässt einen an manchen Tagen fast vergessen, dass sie existiert.

Es gelingt umso schlechter nach der Lektüre dieses Buches. Das ist gut so.

7 Mutproben, die alles verändern, heißt der Untertitel. Sieben Kapitel. Die lauten “Nicht mehr liebenswert sein. Und nicht mehr lieben” oder “Den Dämon kennenlernen” oder “einen Elternteil verlieren.”

Wie kann ein Mensch so etwas schreiben, habe ich mich gefragt. Wie so genau hinsehen, wo wegsehen doch antrainiert, bequemer und angenehmer ist? Ich sehe das an mir selbst. Wie naheliegend ein neues Kleid, das immer auch ein Versprechen ist, zu kaufen statt zu betrachten, wer ich gerne darin wäre und was ich mir von der Person erhoffe, die ich in eine neue Verpackung stecke. Wie viel einfacher ist es mich mit Eis zu belohnen oder mit zuviel Pasta, mit irgendetwas das Geborgenheit gibt, wenn auch nur kurz, statt auszuhalten, was da an Leere ist. Dieses Rennen danach, genug zu sein. Dass einer sagt, es ist gut. Du bist gut. Der Wunsch, Kontrolle zu haben. Über sich, andere, irgendetwas.

An einer Stelle schreibt sie: “Hätte ich damals mit jemandem über alle diese Dinge gesprochen, hätte ich mich aus meinem kleinen Haus aus Toughness und Selbstmitleid hinausgewagt, hätte ich gemerkt, dass ich mit diesem Gefühl nicht alleine dastand.”

Genau das gibt einem dieses Buch: Das Gefühl, nicht alleine dazustehen. Mit all dem, was da ist. Nicht die eine Angst, sondern die vielen diffusen, sich oftmals widersprechenden, die morgens, die abends, die immer wieder aufkommen, dazwischenfunken. “Angst, nicht den richtigen Studienplatz zu bekommen; Angst, im Studium zu versagen; Angst, nicht gut genug abzuschließen; Angst, nicht den richtigen Partner zu finden; Angst, den richtigen Partner nicht halten zu können; Angst, den falschen Partner zu halten, während der richtige sich irgendwo da draußen versteckt hält und wartet; Angst, zu wenig Spaß zu haben; Angst, zu viel Spaß und zu wenig Ehrgeiz zu haben; Angst, es einfach nicht hinzukriegen; Angst, nach dem Abschluss keinen Job zu finden und wenn ja, dann nur einen x-beliebigen Blödsinnsjob mit schlechtem Gehalt und zwei-Jahres-Vertrag; Angst davor, dass die billige Waschmaschine aus Korea ausläuft und die italienische Spülmaschine nicht richtig saubermacht; Angst davor, dass besagter x-beliebiger Blödsinnsjob nicht genug bezahlt, um eine Familie zu gründen; Angst davor, aus dem x-beliebigen Blödsinnsjob gefeuert zu werden und einen noch beliebigeren  Blödsinnsjob annehmen zu müssen.”

Die Mutter von Miriam Stein litt unter Angstneurosen und Panikattacken. Wenn die Angst in der Kindheit schon so präsent ist, dann schafft man es wahrscheinlich umso schwerer an der Phase des Leugnens, die dem sich stellen vorausgeht, festzuhalten. Dann gelingt es einem ein solches Buch zu schreiben.

Es ist ein Buch, das mich sensibler gemacht hat. Meine Ängste haben andere Ausdrucksformen gewählt, aber der Kern ist derselbe. Es ist ein Buch, dass mich noch aufmerksamer hat werden lassen für die Ablenkungsmechanismen, die ich entwickelt habe, für meine kleine Ausflüchte, meine lächerlichen Fluchtversuche. Es hat mir geholfen, gnädiger auf mich selbst zu sehen. Und manchmal überhaupt hinzusehen.

Es macht sehr Lust auf das Leben. Das mag widersprüchlich klingen, ist es aber nicht.
Warum, versteht man, wenn man den ersten Satz liest, mit dem das Buch beginnt. Er ist von Dr. Raphael Rose und lautet: “Der einzige Weg, keine Angst zu haben, ist zu sterben.”

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