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Gebrauchsanleitung für das mittendrin

Gebrauchsanleitung für das mittendrin

207Mittendrin ist es immer am schwierigsten. Rückblickend hat für mich immer vieles Sinn gemacht und vorausschauend war auch alles klar. Aber so zwischendrin? Neblig, unklar, verworren. Was ich sagen kann: Ich habe noch nicht ansatzweise verstanden, was es ist, was da gerade passiert. Markiert mit dem Schlagwort Digitalisierung. Und das obwohl ich teilweise damit mein Geld verdiene es zu erklären. Ich weiß aber, dass ich mittendrin bin oder dazwischen, wie Richard Gutjahr es mal genannt hat. Und ich weiß es zwar noch nicht, aber habe vielmehr eine Ahnung, dass es etwas Großes ist, etwas sehr Großes, das da passiert. Dampfmaschinenvergleiche helfen da nicht, aber die Druckerpresse. Gutenberg. Weil das zwar auf den ersten Blick einfach nur das Drucken von Büchern war, aber im zweiten Schritt die Tür geöffnet hat für etwas sehr viel größeres: Die Verbreitung von Wissen, damit das breitete Spektrum der unterschiedlichen Meinungen und Weltanschauungen,  die Auflösung der bisherigen Herrschaftsformen, das Zerfallen des mittelalterliche, hierarische, Gott-zentrierte Weltbildes. Eine Entwicklung, die die Gesellschaft entscheidend verändert und die Menschen gezwungen, ganz neue Selbstbeschreibungen und Weltbilder zu erfinden. Ich habe einmal gelesen, dass es über hundert Jahre gedauert hat, bis man die Auswirkungen dessen verstanden hat.

Womit ich noch Zeit hätte. Aber das Buch beschleunigt den Verständnisprozess. Nicht, dass ich glaube, dass es das eine gibt, in dem die Wahrheit und Quintessenz dessen allen steht – dazu ist das Thema zu komplex. Aber es gibt einige, die liefern ein paar Puzzleteile mehr und dieses hier ist so eines.

Ich denke es hat damit zu tun, dass einer verstehen wollte. Und er schafft es, was so bitter nötig ist, nämlich, “dass man die technologischen Fortschritte und Vorteile preisen kann […], ohne die Augen vor den gewaltigen Problemen zu verschließen.” Er sucht keine Schuldigen, präsentiert keine schnellen Lösungen, strickt keine Verschwörungstheorien, lässt sich nicht vereinnahmen von der einen oder anderen Seite. Er analysiert mit kühlem Kopf. Und stellt Sichtweisen auf den Kopf. “Bewundern und erschrecken, darum geht es.” 

Die Tatsache, dass es nicht die Vernetzung ist oder die große Menge, die Unmenge an Daten, die uns heute zur Verfügung stehen, sondern deren Kleinteiligkeit. Das so viele unserer Systeme, bei der Medizin angefangen, den Versicherungen, unserer politischen Struktur aber auf dem Durchschnitt aufbauen. Denn auch wenn der Einzelne als Individuum zählt, dann aber immer bloß in Abweichung vom Durchschnitt – der Maßeinheit der Moderne.

Der Fakt, dass wir dichte, detaillierte Erkenntnisse haben verändert grundlegend alles. Die Art, wie wir leben, wie wir arbeiten, wie wir die Welt sehen und wie wir uns selbst verstehen.

Und wie wir uns selbst verstehen, dass ist die zweite Sichtweise, die ich an dem Buch so mochte. Der Wettkamp, den die Menschen mit der Technologie führen. Das Messen wer der Bessere ist – die spricht Christoph Kucklick an und greift sie auf. Das tut ein wenig weh, sich ehrlich zu fragen, was uns denn von den immer klüger werdenden Maschinen unterscheidet, weil die neue Sichtweise nicht ganz synchron geht mit dem Verständnis der Überlegenheit des Menschen, aber sie ist gut, weil sie den Kern trifft, verstehen und erahnen lässt, was da kommt. Und zwar ganzheitlicher Was sich anbietet. In Fällen wie Gutenberg, in denen etwas ganz Großes passiert.

Die granulare Gesellschaft: Wie das Digitale unsere Wirklichkeit auflöst hilft, es ein Stück weit besser zu verstehen, was das ist. Die Welt, das Internet, was da gerade um uns und mit uns geschieht. Das Gespräch mit Sascha Lobo erhellt auch so manches. Entdeckt habe ich das Buch übrigens bei Johannes Kleske, der auch etwas dazu geschrieben hat und generell sehr viel schreibt, linkt und postet, dass beim Weltverstehen hilft und nebenbei auch etwas Wunderschönes darüber geschrieben hat, was sein Antrieb ist.

Mittendrin statt nur dabei – nie war dieser Spruch passender.

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