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Intim und privat: Von Wohnzimmern und Marktplätzen

Intim und privat: Von Wohnzimmern und Marktplätzen

“Blogs sind etwas Intimes, wie Unterwäsche”, hat Ingrid Sischy, Chefredakteurin des Andy-Warhol Interview Magazins, einmal gesagt.
So habe ich es nie empfunden. Vielleicht weil ich Unterwäsche nie gezeigt habe.
Dafür aber meine Wohnung, mein Frühstück, meine Bücher, meine Einkäufe, unaufgeräumte Schubladen, herumliegende Schuhe. Wo ich sonst immer eher zurückhaltend und zögerlich bin, da gewähre ich jedem den freien Blick frei in meine Wohnräume.

Die Schönheit des Alltäglichen ist es, die ich mag, die mein Auge schult, die ich festhalte und ja, die ich auch teile. Und darüber manchmal auch vergesse, wie viel ich damit von mir zeige. Bei manchem Herz-Seelenschmerz-ausschüttendem Text von anderen über den ich stolpere, zucke ich innerlich zusammen und frage mich, wie kann jemand so etwas Persönliches im Netz Preis geben. So denke ich mir. Ich, die ich jedes Abendessen zur Schau stelle. Sagt das nicht ebenso viel aus?

Für mich ist es immer noch ein weiterer Schritt auf der Freundschaftsskala und ein Vertrauensbeweis, wenn ich jemanden zu mir nach Hause einlade. Das will erarbeitet sein. Da darf nicht jeder gleich rein.

Gleichzeitig habe ich mir einen Platz im öffentlichsten aller Orte geschaffen, den ich als mein Wohnzimmer bezeichne. Diesen Blog. Ich weiß natürlich immer, dass ich im Internet bin. Und dass, das Internet jeder lesen kann. Nur fühlt es sich nicht so an. Es ist so heimelig, vertraut und gemütlich hier. Ich habe unglaubliche Menschen hier getroffen, die mir immer wieder begegnen und über den Weg laufen, die freundlich sind und klug und schön (auch wenn ich sie noch nie gesehen habe). Es fühlt sich an wie in meiner Wohnung. Es ist mein Rückzugsort.

Und wie im echten Leben, räume ich natürlich kurz auf und alles ein wenig zusammen, wenn Besuch kommt. Nicht das alles blitzt und blinkt, aber die Schuhe werden zur Seite geräumt, die Magazinstapel geordnet und kurz über den Tisch gewischt. Alles zeige ich nicht, aber doch viel.
Und doch schleicht sich manchmal so etwas wie Angst ein, ob dieses schönen zu Hause-Gefühls im Netz zu vergessen, dass das kein Wohnzimmer ist, sondern ein Marktplatz.

Wie dünn die Grenze ist, merke ich immer, wenn ich jemand, der mich bisher nur über diesen Ort kennt, treffe. Das, was man sich normalerweise erarbeitet, was machst Du, was liest Du, wie lebst du – das ist bei mir alles schon offengelegt und dieser Informationsvorsprung des anderen wird mir dann bewusst. Ich fühle mich ein wenig schutzlos und so ist meine erste Frage, immer die nach dem anderen. Aus Interesse am anderen, aber auch um wieder Pari zu sein, was sich besser anfühlt.
Ist Intimes nicht dass, das den anderen unangenehm berührt zurück lässt? Und privat, das was Vertrauen schafft? Ich habe mal gelesen, dass das was wir in Krimis sehen, nämlich den Kommissar, der die Waffe niederlegt das Geheimnis aller guten Gespräche ist. Einer muss damit beginnen sich schutzlos zu machen, nackt, verletzlich.

Lass uns reden. Ich lasse ins Private blicken, damit etwas beginnen kann.

Und doch frage ich mich, wo die Grenze ziehe.  Zumal sie so viele so unterschiedlich ziehen. Ist im Badezimmer Schluss? Bei Bildern der eigenen Kinder? Was ist schon privat, aber noch nicht intim? Socken ja, Unterwäsche nein?

Oder ist das in Zeiten, in denen dank Hüftjeans sowieso schon alle das Calvin Klein-Logo des Slip gesehen haben eh egal?

Wenn man genau hinsieht, schreibe ich über das was uns alle betrifft und wir kennen. Die Ängste, das Gefühl der Unzulänglichkeit. Was es auslöst ist zweitrangig. Das lasse ich weg. Und so weiß man nicht über mich, ob ich in einer Beziehung oder Single bin, Kinder habe oder nicht, Stadt oder Land bevorzuge. Aber die Ebene darunter, die oft erst später erreicht wird, liegt offen dar. Das macht verletzlich, aber nicht verwundbar. Das ist intim, aber nicht privat. 

Willkommen in meinem Wohnzimmer.

View Comments (15)
  • Ich schrieb mal einem Freund meinen blog-Namen auf ein Zettelchen. Der Herzbube stahl diesen Zettel, als der Freund nicht hinschaute und sagte mir: Du schreibst da so viel Persönliches, das muss der doch nicht sehen. Ich antwortete: das ist das INTERNET, Schatz. Das sehen ganz viele! Frage: ist es nochmal was anderes, wenn man den Menschen persönlich kennt?

  • Ein interessantes Thema! Zu dem meiner Meinung nach jeder eine andre Antwort finden könnte. Wir sind ja zum Glück alle etwas unterschiedlich und so wird jeder uns die Grenze der Privatsphäre/Intimität etwas unterschiedlich ziehen.
    Des Einen Haut ist des anderen Schublade.
    Wenn man Bauchfrei durch die Gegend läuft, ist ein entsprechendes Foto im Blog für denjenigen kein Problem.
    Jetzt frage ich mich natürlich wo meine Grenze verläuft…
    Danke für den Gedankenanstoss!

  • Das stimmt. Ich bin immer sehr zögerlich, jemand Bekannten von meinem Blog zu erzählen. Und es gibt nur wenige, die alle Welten kennen und sich damit ein ganzes Bild von mir machen können.
    Und was ich auch gemerkt habe: Wie nervös ich bin und werde, wenn ich jemanden, den ich bisher nur über den Blog kenne, in echt treffe. Weil er doch einen Informationsvorsprung hat. Den man sich im normalen Gespräch erarbeitet.

  • des einen Haut ist des anderen Schublade. Schön gesagt.
    Ich poste manchmal Bilder und merke wie ich kurz davor die Augen schließen und dann erst veröffentliche. Dabei sind sie für jemanden, der nicht mein ganzes Leben kennt, wirklich nur ein Ausschnitt.

  • ich denke mit.

    hier ist es gleich: es gibt ebenso nur wenige, die beide welten kennen. freundschaften im “echten leben” brauchen bei mir zeit, weil ich im echten leben ruhiger bin und mir erst einmal alles anschaue und es ist gut möglich, dass mir der ein oder andere mensch hinter dem blog bei einem vis à vis völlig suspekt wäre. mit der natur ist es anders, da bin ich sofort da, dort sollte ich vielleicht manchmal etwas vorsichtiger sein wie mit menschen. zugegeben, manchmal habe ich wirklich angst vor menschen.

  • Stimmt. Also baut man sich eine Art “neue Identität” auf. Man gibt nur Preis, was man preisgeben will und lenkt alles in Gefilde in welchen man sich wohlfühlt. Wie war das: “Verhalte Dich so, dass Du die Geschichte zwei Jahre später erzählen kannst ohne sie zu verändern!” 😉

  • mich beschäftigt das thema oft. auch wenn man selbst weiß, dass es ausschnitte sind, sind sie für jeden sichtbar und auffinbar. vorgesetzte, nachbarn, neue bekannte, verwandte. nicht jeder ist feinsinnig und versteht die zeilen so, wie sie gemeint ist. postet man in einer zeit viel nachdenkliches, machen sich leser ein bild. zieht man um, werden mutmaßungen über den beziehungsstatus getroffen. postet man länger nichts auch. man macht sich angreifbar. zum glück habe ich kaum negative erlebnisse mit dem bloggen gemacht. die ehrlichen bekanntschaften will ich nicht missen. ich bin von natur aus nicht extrovertiert, also zeige ich auch digital eher wenig. ich will auch gar nicht alles teilen, ständig das handy zücken. fotowelten aufbauen und ein “oh wie toll” abholen. bei kinderbildern wäre ich übervorsichtig. jeder entscheidet das für sich, aber meiner meinung nach kann das kind diese entscheidung noch nicht alleine fällen, seine digitale identität noch nicht selbst bestimmen. so wie man sie vor so vielem gerne beschützen würde, sehe ich oft, dass gerade online viel zu viele augen zugedrückt werden. seit dem ich vor einigen jahren bei einer bloggerin mitbekam, dass sich eine ihr fremde frau aus einem anderen land an ihren kindern- und familienfotos bediente und die personen als ihre eigene familie ausgab und eine ganze digitale scheinfamilienwelt aufbaute, wurde mir klar, dass sich jeder an den eigenen geschichten bedienen kann. nicht immer bekommt man das direkt mit. das finde ich wirklich gruselig…

  • Auch ich stelle mir intensiver knifflige Fragen rund ums Bloggen. Privatsphäre ist eine davon. Und ich hab den Eindruck, wir deutschen Blogger sind im internationalen Vergleich viel kritischer bei dem Thema. Wie so oft. Aber gut so!!! In dem Sinne: Danke für deinen Gedankenweiterroller-Text!

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