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Lebensgeschichtenbuch

Lebensgeschichtenbuch

Die Lieben meiner Mutter ist eines der Bücher, die einen Sog entwickeln. Noch eine Seite, noch eine Seite. Es ist das Mitleiden und die Frage nach dem Leben der Eltern. Es geht um die Geschichte seiner Mutter, einer Frau mit vier Kindern, die sich im Nachkriegsdeutschland durchschlägt und zwei Männer liebt. Ohne Rücksicht auf die Konventionen ihrer Zeit und mit einer Leidenschaft, die berührt. Einzelne Sätze aus Briefen sind es immer wieder, die eine Sprachgewalt haben. Eine Sprachgewalt, weil ihre Liebe so groß ist und doch immer nur auf Hoffen, auf wenige Treffen beruht.
Der Sohn schreibt dieses Buch. Er reiht die Briefe der Mutter einander und verwebt seine Geschichte mit ihrer. Er begibt sich auf die Suche nach der Frau, die seine Mutter war und seiner eigenen Geschichte. Und das berührt. Auf eine leise Weise und in den zitierten Sätzen aus den Briefen der Mutter mit einer Sprachgewalt. Seite um Seite, die berührt.

“Aus den Briefen trat mir eine junge Frau entgegen, die ich nicht kannte. Eine Mutter, die sich für ihre Kinder zerriss und sie dank ihres Wagemuts und ihrer praktischen Intelligenz auf einer langen Flucht aus den äußersten Nordosten Deutschlands wohlbehalten in den südlichsten Zipfel Bayerns brachte. Eine Ehefrau, die ihrem Mann Heinrich zwischen tausend Nachrichten über das Alltägliche und das Wohlergehen der Kinder zärtliche, manchmal auch zickige Zeichen ihrer Liebe schickte. Und eine Träumende, die von ihrer Leidenschaft für Andreas, einen Freund und Kollegen ihres Mannes, verzehrt wurde.

Vor allem aber lernte ich eine Schreibende kennen, die ihren Schwankungen zwischen Lebenslust und Schwermut fast hilflos ausgeliefert war, aber noch in den Augenblicken völliger Verzweiflung über eine erstaunliche Ausdrucksfähigkeit verfügte. Das Schreiben ist für die Mutter offenbar ein Überlebensmittel gewesen, eine Waffe, mit dem sie die zerstörerischen Kräfte, die von außen wie von innen auf sie einstürmten, in Schach zu halten versuchte. Die Form, die sin ihrem kurzen Leben für das Schreiben fand, waren ihre Briefe. Sie war einundvierzig, als sie starb.”

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