Bis zum letzten Tropfen: Rezept für einen Sommerkater
Bei Festen oder einfach besonders schönen Abenden gibt es irgendwann diesen kaum merklichen Punkt des Innehaltens. Es ist der Moment, in dem einem bewusst ist, dass gerade alles einfach nur perfekt ist. Es ist ein Augenblick, in dem alles, so wie es ist, gut ist. Ich muss mich kneifen, weil es könnte auch ein Film sein oder ich träumen. Aber nein. Es ist real. Das Essen, die Menschen um einen, die Gespräche. Dass es so etwas gibt und dass ich mittendrin bin, all dies ist mir so klar und greifbar in dieser einen Sekunde der Erkenntnis.
Kurz darauf erheben sich die ersten, ziehen die Jacken an und mahnen zum Aufbruch. „Man soll gehen, wenn es am schönsten ist“, heißt es dann.
Soll man nicht. Wann ist es denn bitte schon am schönsten? Warum auf einen Höhepunkt hinarbeiten? Genuss hat kein Verfallsdatum. Und so ein Kater seine ganz eigene Schönheit. Den perfekte Zeitpunkt zum Ausstieg findet man nie. Zeigt sich jeden Tag an der Börse. Wer so vernünftige Sätze wie „Ich muss morgen auch früh raus“ bemüht, der verpasst etwas: Das langsame Ausklingen, diese besondere Stimmung, wenn die Luft bereits raus ist, aber noch zum Greifen nah, wie voll sie mal war. Die Freude am Auskosten bis zum letzten Schluss ist etwas Besonderes. Und ja, das letzte Glas musste noch sein.
Bleiben, wenn es am schönsten ist und so den ganzen Kreislauf mitnehmen und auch den Niedergang nicht scheuen. „Einmal noch, einmal noch“ rufen Kinder, die verstanden haben, worum es geht. Die nicht genug bekommen können. Die noch nicht an morgen denken. Den letzten Tropfen aussaugen aus allem, was man tut. Bis es quietscht, so wie wenn man mit dem Strohhalm im Glasinneren stochert, immer noch auf der Suche nach einem kleinen Schluck.
Der Sommer neigt sich dem Ende. Und man könnte schon Herbstkleider kaufen, die erste Kürbissuppe aufsetzen, Kerzen anzünden und in der Schublade nach den Socken suchen, die ganz nach hinten gerutscht sind, weil man sie in den letzen Monaten wahrlich nicht gebraucht hat. Oder man kann noch festhalten, auskosten, das letzte bisschen Sommer auspressen aus diesem Jahr.
Das Sorbet ist das Gericht, das quasi fürs Auskosten erfunden wurde. Wenn man nach sechs Gängen eigentlich schon voll ist, nicht mehr kann und einfach kein Platz mehr im Bauch, wenn man auch die Serviette auf die Seite legen könnte und es gut sein lassen, dann wurde dieser wunderbare Zwischengang alleinig dazu erfunden, den Magen zu entspannen, kurz aufatmen zu lassen, so dass noch mehr reinpasst. Nichts mit gehen, wenn es am schönsten ist. Immer noch eine Schippe drauf. „Einer geht noch, einer geht noch rein“ ist nicht nur Thema des Oktoberfest, sondern auch die dem Sorbet zugrunde liegende Idee.
Melonensorbet ist eine sehr elegante Form des Festklammerns am Sommer. Melone kann keiner mehr sehen. Worauf man sich im Juni noch diebisch freute, weil kaum eine andere Frucht so für Freibad, Ferien und Sonnencreme steht, reicht es jetzt nur noch für ein müdes Lächeln, weil jeder schon zu satt gegessen ist an Melonenschnitzen, Melonensalaten, Melonensuppen, Meloneneis, Melonenwürfel. Aber als Sorbet und dann noch so hübsch und im September wird die Melone zu einer Liebeserklärung an das Leben, ein einziges „einmal noch“, ein einmal noch alles herausholen, ein langgezogenes Strohhalmschlürfen.
- 1 kleine Melone
- 700 Milliliter Wasser
- 360 Gramm Glukose
- 300 Gramm Zucker
- 6-8 Blatt Gelantine
- 4-5 Zitronen
- 500 g Himbeeren
- 100 ml Wasser
- 15 ml Zitronensaft
- 70 g Puderzucker
- 70 g Invertzucker als Sirup
Die Wassermelone einmal quer oder längs durchschneiden. Aushölen. Die Gelantine in kaltem Wasser einweichen. Das Wasser mit dem Zucker und der Glukose in einem Topf aufkochen. Leicht abkühlen lassen, dann die Gelantine unterrühren. Die Flüßigkeiten zu zwei gleichen Teilen aufteilen. Die Melone pürieren und den Saft abseihen. Die Zitronen auspressen. Die Fruchtsäfte jeweils mit der Gelantine-Zucker-Mischung verühren und dann die erste Schicht in die Melonenhälften füllen. In das Tiefkühlfach geben. Erst wenn es geeist ist, die zweite Schicht drauf gießen, wieder gefrieren lassen. [Dieses unglaublich ausgeklügelte Schichtenmodell habe ich bei facebook auch illustriert].
Himbeeren mit dem Puderzucker eine halbe Stunde ziehen lassen. Pürieren und dann durch ein Sieb passieren. Die verbleibende Pulpe (tolles professionelles Kochwort) mit dem Wasser, Zitronensaft und dem Invertzucker verrühren und wiederum durch das Sieb passieren. Die Masse als letztes auf die Melonenhälfte geben und nochmals gefrieren lassen. Kurz vor dem Servieren antauen lassen und mit einem Messer in Scheiben schneiden.
Es liegt eine ganz eigene Schönheit und Melancholie im Auskosten bis zum bitteren Ende. Es ist vollständiger. Ehrlicher, vielleicht sogar weniger feige. Es ist kein polnischer Abgang, sondern ein kluges Gleiten auf den Wellen. Er erkennt an, dass nach dem Aufstieg der Abstieg kommt und der ebenso dazugehört. Es schmälert den schönsten Moment überhaupt nicht, wenn man noch dabei ist und zuschaut, wie er langsam verglüht, verglimmt, wenn nur noch die Glut dessen zu sehen ist, was einst mal ein großes Feuerwerk war.
So einen Kater am nächsten Tag will auch erst einmal verdient sein.
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Das hast du wunderbar gesagt, gespürt und sichtbar gemacht!
Das ist perfekt. Alles.
Sehr gut sieht das aus. Ich habe heute schon den Herbst ins Haus gelassen. Ein schöner Hokaido durfte einziehen und es sich in Scheiben zusammen mit etwas Thymian im Backofen gemütlich machen. Ich liebe diesen Duft im Haus. Das ist Aromatherapie. Ich weine dem Sommer nun nicht mehr hinterher.
Ein Melonen-Krater – für den Sommerkater. Das hast du in Worten so schön inszeniert wie das Sorbet geschichtet in seine Schale… liebe Grüße…
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