Die nächste Stufe der Beziehung
Wenn man sich schon ein wenig näher kennt, wenn man ein oder zwei Abende miteinander verbracht hat und auch ein paar ganze Tage, wenn man sich und den anderen nicht mehr die ganze Zeit auf den Prüfstand stellt, dann erweitert sich irgendwann der Kreis der Zweisamkeit und man wird den Freunden vorgestellt. Das ist Vertrauensbeweis und das Zeichen, dass das nicht nur eine kurze Affäre ist, sondern sich zu etwas entwickeln könnte von Dauer. Irgendwann sind dann auch die Eltern dran und die Familienfeier. Diese Erweiterung des Kosmoses ist ein Beleg dafür, dass die Beziehung trägt, dass der andere eingelassen wird in den Kreis derjenigen, die schon vorher da waren. Dort entdeckt, man nochmals andere Seiten am Anderen. Wie er den Coolen gibt vor seinen Freunden. Wie man eine Ahnung bekommt, von dem kleinen Jungen, der er mal war, wenn er wieder am Esstisch seiner Eltern sitzt.
Das musste ich mir vor Augen führen, als ich dieses Buch über Roger Willemsen las. Den glaubte ich nämlich zu kennen. Aus dem einfachen Grund, dass ich sehr für ihn schwärme. Vielleicht nicht ganz mein Alter, aber er hat einfach etwas an sich, das ich ungemein attraktiv finde. Er hat Worte und er findet immer die richtigen. Ich mag seine Stimme und seine Menschlichkeit. Seit Jahren sauge ich alles auf von ihm, was ich in die Finger bekomme. Viel Zeit habe ich mit Worten von Roger Willemsen verbracht und mir deshalb natürlich dieses Buch gekauft und noch gleich am Abend zu lesen begonnen.
Allerdings musste ich mich zwischendrin immer wieder zusammenreißen, weil nicht nur er zu Wort kommt, sondern auch Zeitgenossen, Wegbegleiter. Ob es Kollegen sind, alte Studienfreunde, die Schauspieler, die ihn bei Lesungen begleitet haben oder andere Autoren – sie alle schreiben zu ihm, über ihn. Sie nehmen fast mehr Raum ein als seine Texte. Die empfand ich anfangs als störend. Ungeduldig blätterte ich durch die Seiten und flog schneller über die Sätze, um dann wieder zu den Interviewpassagen mit ihm zu kommen. Bis mir auffiel, dass das völlig unsinnig ist und ich gerade den nächsten Schritt in der Beziehung verpasste.
Die Freunde, die man hat und die Menschen, mit denen man sich umgibt – wie viel sagen sie über einen aus. Der Mensch wird am Du zum ich, das wusste schon Martin Buber und man verpasst soviel, wenn man sich nur um den eigenen Kosmos dreht, in der eigenen Welt verharrt. Welch ein Privileg einen Menschen durch andere Augen zu sehen und ihn so noch besser kennenzulernen.
So ist der leidenschaftliche Zeitgenosse zu lesen. Und nachdem ich nun auch das Umfeld kenne, kann ich auch weiterhin sagen: Ein so feiner, feiner Mensch, der Herr Willemsen. Sage nicht nur ich. Auch ganz viele andere.
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So einfühlsam und liebevoll geschrieben. Ich mag ihn auch sehr, ein feiner Mensch, klug, zugewandt und warmherzig….. Wie er da das Jahr im Bundestag saß… und überhaupt. Hoffe, er wird bald wieder gesund.
Schönen Sonntag wünscht Dir Sabine
Ich kann dir nur zustimmen!
Ein wirklich kluger Mensch, dem ich gerne zuhöre,
der irgendwie fesselt, der authentisch ist, echt wirkt, er selbst ist.
Ich wünsche ihm wirklich alles, alles Gute!
Herzliche Grüße
Julia
Wie schön, roger willemsen und martin buber (alles wirkliche leben ist begegnung) zusammen zu bringen! es scheint mir schon so, als versuche roger genau das zu leben: die neugier, was kommt am gegenüber zur erscheinung, vielleicht empfinde ich ihn deshalb als so lebendig auf seine art, den *entflammter halbstarker*
Ich musste die Erfahrung machen, dass das kein Indikator dafür ist, wie sehr der eine sich auf den anderen eingelassen hat. Ich stehe jeden Tag auf dem Prüfstand und hasse es. Vielleicht ist es sein Unvermögen es nicht zeigen zu können, er kann es nicht mal sagen. Und trotzdem fühlt er sich wohl aber reicht das für eine Beziehung? Reicht das für mich?