Ist das gut?
Ich lese gerne. Und viel. Eigentlich fast immer. Zwischendurch in der S-Bahn, morgens bevor ich los muss, abends vor dem Einschlafen und immer wieder in den kleinen Momenten, die ich dem Alltag abringe. Nach Hobbies gefragt mit Lesen zu antworten stempelt einen in Sekunden zum Eigenbrötler ohne Freunde ab, aber selbst das ist mir egal. Wenn ich beim Lesen nur noch wenige Seiten vor mir habe, überkommt mich ein wenig Traurigkeit, wie vor einem Abschied. Es ist keine neutrale Beziehung, die ich zu Büchern habe.
Es ist eine hochgradig emotionale.
Mein Verlangen nach Büchern geht so weit, dass ich ein wenig unruhig werde, wenn keines zur Hand ist. Steht ein lange Zugfahrt bevor oder droht der Flieger sich zu verspäten, dann mache ich mich noch schnell auf zur Buchhandlung um Nachschub zu besorgen. Bei Alkohlikern wäre das ein klarer Fall von Suchtverhalten.
Bücher stapeln sich neben meinem Bett. Das beruhigt mich. Dann lese ich mal dieses an und mal jenes und immer wieder auch parallel.
Wenn ich bei jemanden zum ersten Mal in der Wohnung bin, geht mein erster Blick immer auf das Bücherregal. Dort mir bekannte und vertraute Titel zu sehen oder solche, die mich neugierig machen, stellt in Minuten eine Verbindung her, für die es sonst Jahre bräuchte.
Die Bücher kaufe ich nach Empfehlung. Manchmal aufgrund von Vorschlägen, die mir die Algorithmen machen, manchmal, weil es mir jemand, den ich mag, ans Herz legt und manchmal weil andere darüber schreiben.
Davon schreibe ich, weil ich immer hadere, wenn mich jemand fragt, ob das Buch gut sei und weil ich diesen recht harschen Beitrag gelesen habe – und ganz egal wie gut oder schlecht das Buch tatsächlich ist – geht er mir nach. Ebenso wie einen Artikel, den ich mal über Christine Westermann gelesen hatte. Es wurde kritisiert, dass sie für Bücher schwärme, anstatt sie sorgfältig zu rezensieren.
Ich kenne die Funktion und Aufgabe von Literaturkritik und es geht nichts über die Sonntagszeitung und doch zucke ich zusammen. Es ist die abgeklärte Art, die natürlich ihre Berechtigung hat, das völlig Distanzlose und der grobe Verriss. Und in diesen Momenten bin ich so dankbar, dass es neben den großen Medien auch diese kleinen gibt, die manche mal als die Klowände des Internets bezeichnet haben, aber die keine Auftrag haben, nichts beweisen müssen oder mit ihrer Belesenheit prahlen, sondern einfach und ehrlich von einem Buch sagen dürfen, dass es ein gutes war, weil es ihnen gefallen hat. Die keine anderweitigen Kriterien anlegen müssen als ihren eigenen Geschmack. Es ist Raum für beides und es braucht diesen Ausgleich und tut gut, dass nicht einige wenige den Maßstab anlegen für gut oder schlecht, sondern auch andere Stimmen Gehör finden. Und seien sie noch so leise und klein. Dafür liebe ich das Internet.
Was ein Buch für mich zu einem guten Buch macht?
Anke Gröner hat etwas Schönes geschrieben über den Besuch von Museen und über die Wirkung von Kunst und ich würde eben solches sagen von Büchern. Sobald sie etwas machen mit mir, etwas auslösen in mir und wenn es nur ein Satz ist – dann ist es ein gutes Buch. Wenn es mich anders zurücklässt.
Das können nur Bücher. Ich kann eine Welt aus den Augen eines anderen sehen, die mir sonst für immer verschlossen wäre. Mit Büchern sehe ich immer wieder das Meer zum ersten Mal, so hat es Roger Willemsen beschrieben.
Die Geschichte ist fast nebensächlich. Das habe ich schon immer gedacht. Ob es um ein Paar geht oder einen Mann, ob sich wer findet oder verliert oder was wer sucht. Semantik, Satzstruktur alles fein. Es muss etwas bewegen, bewegen in meinem Kopf, meine Sichtweise ändern, neu austarieren. Dann ist es gut.
Es gibt auch Bücher, bei denen ich ganz persönlich meine Grenze ziehe. Die Frauenliteratur, die nur auf den einen Prinzen wartet und in der das Ende schon auf der ersten Seite absehbar ist. Da erweitert sich für mich nichts, da verengt es nur.
Aber auf alles andere, lasse ich mich ein. Auf deftige Sprache, auf Jugendliteratur, auf abwegigste Wirtschaftstheorien. Und wenn ich dann den Gedanken denke, den ich ohne dieses Buch nicht gedacht hätte, wenn ich die Welt ein wenig anders sehe, mehr verstehe oder einfach nur kurz weggetaucht bin in eine andere, dann war es ein gutes Buch. Wenn ich mir einen Satz herausschreibe, weil es dieser eine ist, der alles sagt, was zu sagen wäre in ebendieser Situation, dann ist es ein gutes Buch.
Dies alles kann ich so frei sagen, weil ich manches Mal fürs Schreiben, aber weniger fürs Lesen bezahlt werde.
Und beides sehr gerne tue.
Leidenschaftlich.
Und die trübt bekanntermaßen das Urteilsvermögen. Nur dass das manchmal auch gut so ist.
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Das war ein guter Beitrag. Ganz und gar. Wie ich finde. Weil er mich nun anders zurücklässt und weil ich mich wiedererkenne in deinen Empfindungen und Gefühlen zu Büchern.
Hab Dank dafür, du liebe, und ein schönes Wochenende!
Herzlichst,
Kristina
Als fast nie kommentierende Leserin, die in stiller Begeisterung deinen Blog verfolgt: toll geschrieben und genauso empfinde ich es auch, könnte es nur nie so gut beschreiben! LIebe Grüße, Kathrin
Sehr gut so!
ja!
Mir geht es mit Filmen so wie dir mit Büchern. Es muss mich bewegen und mich zum Nachdenken bringen (Bücher auch, aber dafür fehlt mir einfach die Energie). Und, entweder es liegt an meinem ausgezeichneten Geschmack 😉 oder an meinem guten Herz, ich finde fast immer irgendwas, das ich in einer Rezension loben kann. Ich habe auch schon mal eine Weile ganz offiziell beruflich Filmkritiken geschrieben und auch da habe ich immer versucht, mich mit harscher Kritik zurückzuhalten. Hinter jedem Projekt stecken Menschen. Und ich unterstelle den meisten einfach mal, dass sie ihr Bestes geben. Und dafür sollte niemand fertiggemacht werden. Und wenn ich tatsächlich mal etwas Böses schreibe, dann muss der Film schon richtig richtig schlecht gewesen sein. (So wie Maleficent, aber da waren die meisten Menschen wohl anderer Meinung als ich …)
So – genauso ist es. Es reicht ein Satz, eine Seite, ein Wort…
Ich sende dir dazu eine Mail mit Anhang.
jaaaaaaa
Da kann ich ebenfalls nur vollumfänglich zustimmen. Es gibt eben einen Unterschied zwischen „Stilkritik“ (was man ebenfalls bewundern kann) und dem einen tollen Satz im Heuhaufen über den man unerwartet stolpert und den man aber um so lieber den ganzen Tag mit sich herumträgt 🙂
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Du sprichst mir aus der Seele. Mein Vater sagte früher gerne, dass ich mit meinen Büchern noch das Haus zum Einsturz bringen würde (dabei ist er selbst ein großer Leser). Ich verlasse das Haus nie ohne Buch, selbst wenn ich es dann doch nicht zur Hand nehme, beruhigt es mich eins dabei zu haben. Wie einen Freund, den man in der Tasche trägt.
Danke, dass du diesen Blog schreibst. So komme ich immer wieder zu neuen Anregungen. Dank dir habe ich Bist du noch wach? gelesen, welches sonst vermutlich vor mir verborgen geblieben wäre. Und das wäre sehr schade, es ist ein wundervolles Buch.
Liebe Grüße
Nina
Danke.
Gerne. So gerne.