seltener Zeitvertreib
Ich habe mal gelesen, dass eine der Merkmale des Älterwerdens die Erkenntnis ist, dass es selten ist, dass man Menschen begegnet, die einem wirklich viel bedeuten, mit denen man gerne und viel Zeit verbringt, die bleiben sollen.
In der Jugend scheint die Welt noch voll davon. Nach dem Abitur glaubte ich, dass diese tiefe Verbindung zu den dreißig Mitschülern durch nichts zu kappen wäre. Schon nach den Sommerferien sah die Sache anders aus. Es mündet in einem: „Was machst Du jetzt? War schön Dich zu treffen. Ich muss dann auch weiter“, weil die gemeinsam verbrachte Zeit als alleiniges Fundament nicht ewig trägt.
Aber jede Rucksackreise, jede Interrail-Tour, jeder Neuanfang und davon gibt es in der Jugend ja so viele, spült mehr Bekanntschaften ins Leben als Wellen an den Strand und die Vermutung liegt nahe, dass das immer so weiter geht. Tut es nicht. Es dünnt sich aus.
Nicht, dass ich weniger Menschen treffe. Immer wieder mache ich Bekanntschaften, führe gute Gespräche und es ist schön, um nicht zu sagen nett. Aber dass es einen im Kern erschüttert, eine Vertrautheit da ist, die unerklärlich ist und der simple Wunsch Zeit miteinander zu verbringen – das wird seltener. Ich bin mir selbst eine gute Gesellschaft. Da ist schwer gegen anzukommen.
Ich habe das Gefühl, dass es mit Büchern auch so ist. Da habe ich mein bewährtes Repertoire an denjenigen, die für immer einen festen Platz in meinem Regal und meinem Leben haben werden. Max Frisch. Connie Palmen. Siri Huvstedt. Susan Sontag. Joan Didion. Was waren das für Entdeckungen. Wie habe ich jedes und jedes ihrer Bücher gelesen. Wie war das damals mit 16 auf Hesse zu stoßen. Wie wahrscheinlich für jeden Pubertierenden war es die Offenbarung und schaue ich heute zurück, kann ich zwar nicht alles nachvollziehen, aber wie es sich anfühlte, das weiß ich noch genau. Auf einmal war da ein Halt im verloren sein, eine Sprache, an der ich mich festhalten konnte. Da hatte einer Worte gefunden und die gaben mir Orientierung, einen festeren Tritt. Nun hat man irgendwann genügend Boden unter den Füßen. Es bebt nicht mehr so. Aber ob es das ist, das besagte älter werden oder die gewachsenen Ansprüche?
Auf jeden Fall war da schon lange kein Autor mehr, der mir so alles abverlangt hat. Von dem ich ein Buch nach dem anderen lesen wollte, die enttäuschten Ausgaben in Kauf nahm, einfach weil ich für jedes Wort und jeden Satz dankbar war, seine Gedankenwelt und damit auch meine besser verstehen wollte.
Dann kam Wondratschek. Den es natürlich schon viel länger gibt. Aber der irgendwie nicht in mein Wahrnehmungsfeld geraten war bis zu einem Artikel in der Sonntagszeitung. Ein rebellischer Autor wurde dort beschrieben, der unzufrieden mit dem Verleger für sein neustes Buch einen privaten Mäzen gefunden hat. Und von einem Text war die Sprache. „Kleine Rede an die Herren in Flugzeugen“. Geschrieben von Wondratschek auf Bitten des besagten Mäzens, eines Unternehmenberaters, neben dem er im Flieger saß, sich um die Armlehne stritt und ihn aufforderte, ihm das Feuilleton zu geben, da dieser das eh nicht läse. Aus dieser Dreistigkeit, dem Aufeinandertreffen der verschiedenen Lebenswelten entwickelten sich Gespräche und das Fördern desselbigen.
Da hatte es mich gepackt. Wie neugierig ich war. Und wie unbedingt ich diese Worte lesen musste, die ich mich zwischen den Anzugsträgern, den Geschäftsmodellen und Businessplänen zwar wohl, aber zuweilen auch fehl am Platz fühle und neben das Handelsblatt immer den Gedichtband stecke, damit der Ausgleich gewahrt und die Bilanz, meine persönliche Bilanz stimmt. Für mehr Poesie in der Business Class.
So habe ich ihn kennengelernt den Wondratschek. Und er ist so neu, so anders. Es ist eine frische Begnung. Zumindest für mich. Er schreibt so barock. Er ist so opulent in der Sprache, rotzig und roh. Wenn Texte heute manchmal so lakonisch sind, abgeklärt und poppig, wenn sie die Sportfreunde Stiller-Sprachästhetik durchzieht, sie weich daherkommen, sich ziehen und dehnen, dann ist die Wondratscheksche Sprache das genaue Gegenteil. Sie verhält sich wie Rap zu Pop. Sie ist so gedrängt und geballt. Wohlüberlegt trifft sie. Da ist immer eine Wendung, immer ein Schleife. Es ist ein wenig wie Achterbahn fahren und wenn man nicht aufpasst, schleudert es einen aus der Spur. Weil dann wieder ein Satz kommt, der wie ein Kinnhaken trifft. Kein Wunder – schließlich ist er für seine Texte über das Boxen mitunter bekannt. Auf jeden Fall bin ich gebannt von dem Neuen. Der immer noch einmal eine Harke schlägt mit seinen Geschichten und so dicht, in allem so dicht mit der Sprache spielt. Dem man anliest, dass er um die Sätze gerungen hat. Um jeden einzelnen. Seine Gedichte, das Lied von der Liebe, seine Kurzgeschichten, die Kelly-Briefe und schließlich Die weißen Jahre, eine Sammlung von Reportagen, die die besagte Rede an die Herren im Flugzeug enthält, habe ich bereits gelesen.
Und es ist passiert. Ich bin seit langem mal wieder auf einen gestoßen, mit dem ich gerne Zeit verbringe. Mehr Zeit verbringen möchte. Und es ist keine Frage des Alters.
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was für ein mitreißender text! ich hab‘ ihn sehr genossen. manchmal habe ich angst davor, bücher ein zweites mal zu lesen, der zauber und die kraft der ersten begegnung könnten verloren gehen, manchmal liest man aber beim zweiten mal mit anderen augen und durchaus mit gewinn, weil sich andere ebenen erschließen, für die man zuvor noch nicht bereit war.
aber ganz abgesehen davon, sind solch „erschütternde“ erste male wirklich schön und bereichernd. deine zeilen waren es auch. ein schöner start in den tag. danke, annett
Liebe Stephanie! In der Kunst ergeht es mir ähnlich. Wie großartig war mein erster Besuch auf der documenta IX; die Kunst überwältigend, ein Kunstwerk provokativer als das andere, (fast) jedes Kunstwerk schien in mir eine Facette zum leuchten zu bringen. Mit der Zeit flachte das unwiderruflich ab; was sicher zum einen an dem Spektrum liegt, was sich ständig erweitert. Profan formuliert, ist es wie mit Speisen: irgendwann unterscheidet die Zunge und Auge das Gute vom Feinen, je nach Exzessivität. Viel wichtiger finde ich jedoch die Zeit in der wir uns bewegen. Wie heißt es so schön; tempora mutantur, nos et mutamur in illis – die Zeiten ändern sich und wir uns in ihnen. Das schöne daran ist -und das ergibt sich auch erst mit zunehmendem Alter- dass man verworfene Artefakte wieder neu entdecken und für gut befinden kann. Ja das ist großartig! Hab eine gute Zeit. Herzliche Grüße, Daniela
*Was man liebt, das weiß man auch zu loben*… und du bist auf jeden fall und völlig unkaschiert hin und weg. Wenn jemand mit wogender Brust und glühenden Wangen von etwas erzählt, das in ihm etwas anknipst, dann höre ich sogar gerne zu, wenn es um Kleidermotten geht…. beispielsweise.
Ich freue mich, den Spuren deiner Links zu folgen.
Außerdem bestätige ich, was du eingangs geschrieben hast: die Begegnungen werden seltener, während *die Jugend noch voll davon war*. Daher hats – für mich – schon was mit dem Älterwerden zu tun, dem Verlust von Naivität.
Ach, was ein wunderbarer Text, der mir meinen Montag schön gestaltet. Danke! – Deine Gedanken zum Leben und den Büchern teile ich beinahe uneingeschränkt.
…. Und Wondratschek …. den muss ich dann wohl auch mal lesen.
Lg,
Werner
schön. wie wahr.
und du hast mich neugierig gemacht auf die kelly-briefe!