14. Juli

Systemfehler

Erich Fromm wiederentdeckt. Denjenigen, der mir soviel bedeutet hat von dem ersten Moment an,  als mir sein Buch „Die Kunst des Liebens in die Hände fiel. Da war ich noch jung. Sehr jung. Ich habe nur in Teilen verstanden, was da stand. Wie sollte ich auch? Aber es gab mir eine Ahnung davon, dass es etwas Größeres geben musste als die Schwärmereien für den Leadsänger einer Band und die ersten Annäherungen in Form der kurzen Berührung am Knie beim Kinobesuch, die damals meinen Jungmädchen-Alltag dominierten. Etwas Besseres hätte mir nicht passieren können. 

Ich frage mich, warum ich bisher nie über ihn geschrieben habe. Vielleicht weil er und sein Denken so tief verankert sind in mir. Ich habe alle seine Bücher gelesen. Sie tragen viele Ecken, meine Markierung für Seiten auf denen Worte stehen, die ich lesen und wieder lesen möchte, weil ich sie verstehen will oder weil sie etwas anreißen, dass ich festhalten möchte. Eines seiner Bücher fiel mir letzt beim Umherschichten von Papierstapeln in die Hände und beim Blättern durch die Seiten, das immer ein wenig wie das Einatmen eines Buches ist, bin ich über diese Sätze gestolpert.

Sie sind auch schwer zu übersehen. Angestrichen mit Bleistift. Sehr dick und fett. Dann nochmals ein roter Marker darübergelegt. Ich überfliege sie und weiß warum. Und setzte nochmals einen Bleistiftstrich an den Rand. Sie gaben und geben mir Orientierung, ordnen ein, wenn der Lärm um mich herum und im Kopf wieder zu laut wird oder ich mich frage, warum die Haut so dünn ist und ob ich falsch bin und alle anderen richtig, dann denke ich daran. Und das hilft.

Es gibt eine Fülle von Abwehrformen gegen das Gefühl, das sich ergibt, wenn man nicht lebendig ist. Unsere Unterhaltungsindustrie, unsere Arbeit, unsere Cocktailparties, unser Geschwätz, unsere ganzen Gewohnheiten sind alles Abwehrformen gegen diesen furchtbaren Augenblick, in dem wir wirklich spüren könnten, dass wir nichts fühlen. Auf diese Weise schützen wir uns, von der „Melancholie“ erfasst zu werden. Einige wenige Menschen verfügen vermutlich auf Grund einer höheren Sensibilität nicht über diese Schutzmechanismen. Wahrscheinlich sind sie für diesen Geisteszustand, in dem sie nichts fühlen, sehr viel empfindlicher, so dass ihre Abwehr nicht so gut arbeitet.“

Erich Fromm in Die Pathologie der Normalität: Zur Wissenschaft vom Menschen

Lebendig. C´est tout, wie die Franzosen sagen. 

7 Responses

  1. Melanie sagt:

    und dann gibt es den Abwehrmechanismus, der durchaus Sinn macht. die Tür zum Herzen und zum Geist, die verschlossen werden MUSS, damit man weiterleben kann.
    Ha! Melancholie spüren müssen. Damit man zu den Intelligenten, Sensiblen gehört.
    Stille und Leere können auch wichtig sein.

  2. avalon sagt:

    wenn jemand nichts von erich fromm kennen würde (=ich), was würdest du als einstieg in sein werk empfehlen? ein gruß zur nacht, eva

  3. seelenruhig sagt:

    Genau wie du habe ich Erich Fromm in meiner Jungmädchenzeit entdeckt… lange ist das her und deine Wort und dein Zitat wollen, dass ich es wieder lese .. danke dafür!
    liebe Grüße von Ellen

  4. stepanini sagt:

    „Die Kunst des Liebens“ ist ein Klassiker und ein guter Einstieg. Ich lese es eigentlich immer wieder. Und dann habe ich letzt etwas Schönes entdeckt. „Die Kraft der Liebe: Über Haben und Sein, Liebe und Gewalt, Leben und Tod“. Es versammelt einzelne Sätze aus seinen Büchern und ist wahrscheinlich der beste Start zum warm werden.
    Danach noch „Authentisch leben“ – das mochte ich auch sehr.
    Liebe Grüße, Stephanie

  5. avalon sagt:

    danke dir!

  6. stepanini sagt:

    Ja, diesen Abwehrmechanismus gibt es. Das kenne ich auch. Ein wenig. Ich habe Erich Fromm immer als einen gelesen und verstanden, der den Melancholischen, den Schwermütigen – all denen die nicht performen – einen Raum gibt und vieles aus unserer Gesellschaft in Frage stellt. Das mag ich an ihm. Druck einer Gruppe anzugehören, habe ich bei ihm nicht gesehen. Eher ein zulassen aller Lebensformen und eine sehr große Zuneigung zu Menschen, jeder Form, Stimmung oder Coleur. Er hat gegen das so oder so sein müssen, gesprochen. Ein großer Menschenfreund.

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