viel erwarten von Stoner
Stoner. Ich weiß nicht, wann mich ein Buch zuletzt so berührt hat. Berührt, aufgewühlt, bewegt und tief gerührt. In jeder freien Minute habe ich darin gelesen und will es in ein paar Wochen unbedingt noch einmal tun. Stoner. Ein Buch, das aufgrund des Covers und Titels nie den Weg zu mir nach Hause gefunden hätte. Es sah so nach Krimi aus und die lese ich nicht gerne.
Die Geschichte ist einfach und schnell erzählt. Die des Buches und die von William Stoner. Universitätsprofessor, verheiratet, ein Kind. Ein Leben auf 356 Seiten. Eine mittelmäßige Karriere legt Stoner hin, lehrt an der Universität tagein und aus, leidet unter seiner Frau und beruflichen Intrigen. Die Ehe fügt mehr Leid als Freude zu und doch fehlt der Mut, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Ein Leben, das mit großen Träumen begann und irgendwann endet. Seine Träume sind nicht zerplatzt. Sie sind ganz einfach mit den Jahren versandet, kleiner geworden, haben sich verwässert und sind schließlich ganz verblasst.
Normalerweise sammle ich Sätze. Bei Stoner sind es auch viele, aber es ist einer, fast am Ende, der das ganze Buch zusammenfasst. Der so simpel ist und doch an den Grundfesten rüttelt. Es ist kein Satz, sondern die Frage, die sich Stoner am Ende seines Lebens stellt. Was hast Du denn erwartet?, fragt er sich.
Was hast Du denn erwartet? Es ist diese Frage und die mögliche Antwort darauf, die das Buch so berührend und aktuell macht.
Erklärt sie nicht, warum der Ausruf Yolo so beliebt ist und ein Video, in dem es darum geht, es nicht beim „fast“ zu belassen und den Wartesaal der Möglichkeit jetzt aber wirklich endlich zu verlassen.
Warum wir dort verweilen?
Weil wir viel erwarten. Weil wir von dem großen Leben träumen, den Superlativen: der Superkarriere, der Wahnsinnsehe mit dem Traumprinz, dem perfekt reduziert eingerichteten Haus, den perfekten Kindern, dem erfolgreichen eigenen Label und den vielen, vielen großen Träumen.
Und aus einer Ahnung heraus, dass es auch das Leben eines Stoners werden könnte, ist die Wartehaltung angenehmer. Der Stillstand und das Verweilen lässt der Sehnsucht und den Möglichkeiten allen Raum.
Was hast Du denn erwartet?
Es gibt einen Spruch. My brain has too many taps open. Unser Leben hat zu viele taps open. Das Beste kommt nicht noch. Vielleicht war es schon da.
Die vielen Möglichkeiten, die gibt es nicht. Und eine Entscheidung dafür, ist auch immer eine dagegen.
Aber das ist in Ordnung.
Wenn mich einer fragte, was ich denn erwartet hätte von diesem Buch, hätte ich gesagt nicht viel.
Und dann hat es mich auf so besondere Art rührt und berührt und tut es noch.
Und das ist mehr, als man von einem Buch gemeinhin erwarten kann.
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Irgendwie lande ich hier immer wieder bei meinen eigenen Gedanken und Themen. Danke für den Anstoß – und das Buch.
Ich habe das Buch selbst gerade gelesen und empfinde jedes Wort, dass du daruber schreibst, nach. So tief.
Huch, da hat sich ein -s zuviel an das „DAS“ gehängt!
mein erstes empfinden beim anblick von titel und cover :: ähnlich. daher vertraue ich drauf, dass es beim lesen auch so sein wird. muss. es wird zu mir finden.
so wie stoner ist das leben… und wenn wir eine nacht am feuer in einem kleinen hüttchen voller glück verbringen können, ist das wunderbar. im original gelesen, sehr zu empfehlen…
oh ja, dieses „too many tabs open“ kenn ich. man wartet ab und lässt so manche gelegenheit verstreichen, weil man denkt, ja man hofft, dass das noch nicht das beste war.
d a n k e fürs aussprechen, fürs erinnern, dass man mit den entscheidungen die man so trifft oft auch die richtigen entscheidungen getroffen hat. und dass es egal wie es dann ist auch in ordnung ist oder in ordnung kommt!