weit gereist
Eine Hochzeit. Nicht eine, von denen, die es in die Magazine schafft.
Sondern eine andere. Eine von denen, in denen die Braut ein barockes Kleid trägt und die dazu passenden Spitzenhandschuhe, die die Finger nicht wärmen können, weil sie zu den Händen hin spitz zulaufen nur zur Zierde um einen Finger gewickelt sind. Die Feier danach im Gemeindehaus mit dem Fliesenboden und den hellen Holzstühlen mit ockerfarbenem Stoffbezug. Im Gang hängt die Einladung zum Kindergottesdienst. Es gibt zu viel Kuchen, die nach Geheimrezepten gebacken sind und ein Programm, ein Abendessen und Thommy sorgt mit Keyboard und Labtop für die Musik am Abend.
Es war ein schönes Fest. Ich bin länger geblieben, als geplant. Es gab die großen Rührungsmomente, wie bei jeder Hochzeit, weil sich zwei Menschen etwas versprechen, dass man gar nicht versprechen kann und dieser Mut und Glaube, der lässt meine Augen fast schon automatisch feucht werden. Jedes Mal wieder. Es gab lustige Momente und es gab schöne Gespräche. Andere als die, die ich sonst so führe, aber es ist auch eine andere Welt.
Es ist eine andere Welt, in die ich nicht gehöre. Ich bin nur Gast, aber dankbar es zu sein.
Reisen öffnet den Horizont. Muss nicht immer Neuseeland sein. Fremde Welten gibt es auch im eigenen Land.
Es gibt eine Regel für die Entwicklung von guten Produkten und die gilt als die wichtigste: Sich selbst nicht als Referenzrahmen für den Rest der Welt zu sehen. Obwohl es so leicht ist und so naheliegend. Wo ich stehe, da ist erstmal richtig und das ist die Orientierungslinie. Alles, was einem begegnet, wird mit dem eigenen Standpunkt und der eigenen Sichtweise abgeglichen und von dort aus verortet.
Nur da verpasst sich so viel.
Und obwohl ich das weiß, handle ich auch so. Weil mein Nukleus natürlich klein, die Geschmäcker ähnlich und ich so im immer gleichen Badesee schwimme, der sich als Meer tarnt.
In einem Artikel über ein Buch, das viel diskutiert wird, stand der schöne Satz: „Wir leiden alle unter dem Eppendorf-Syndrom.“ Aus einem Milieu stammend, bleibt der eigen Kosmos klein. Und selbst im Internet, dass doch die ganze Welt zugänglich macht, geschieht das. Die Pünktchen-Blogs, die feministischen, die veganen, die ganz aufgeräumten, die politischen und die Mütter-Blogs, die seit 2001-Blogger tummeln sich untereinander und vielleicht ist das noch gefährlicher. Vermeintlich in der großen weiten Welt unterwegs, übersieht sich leicht, dass man nicht über den eigenen Vorgarten hinausgekommen ist.
Da dachte ich, ich fahre zur Hochzeit in die Provinz.
Und bin doch ziemlich weit gereist.
- Categories:
- alles sonst so
- denken
Das hast du schön eingefangen! Fremde Welten liegen wirklich oft sehr nah und es ist so wichtig, einzutreten und sich selbst nicht als Maß der Dinge anzusehen, denn das macht einsam und auch ein wenig „weltfremd“… sich mit Gleichem zu umgeben, ist dann auch nur die sichere weichgespülte Komfortzone, in der alle gemeinsam Nicken. Also los los, reisen wir mehr!
das ist ziemlich schön und treffend geschrieben
besonders, dass man sein leben nicht als referenz sehen darf
da muss man sich oft selbst auf die füsse tappen, weil kein leben ist gleich und das ist auch gut so
und oft denke ich mir, dass die menschen in der provinz am ende doch viel glücklicher sind als die, die meinen die grosse welt zu kennen
der horizont ist vielleicht kleiner, aber sie sind zufrieden mit dem was sie haben und haben nicht dieses „höher-schneller-weiter-denken“
ich bin gespannt wie es mir ergeht auf dem lande, ich freue mich jetzt und hoffe ein wenig „geerdet“ zu werden, auch wenn ich den horizont nicht aus den augen verlieren möchte
ich werde dir davon berichten
„weil sich zwei Menschen etwas versprechen, dass man gar nicht versprechen kann“… das ist so wahr und ich bekomme auch gleich feuchte Augen 🙂