Die Lektion des Lebens über zu laute Parties und Mülltrennung
Ich bin nun schon seit einer Woche mittendrin in etwas was man wohl als kompetitives Umfeld bezeichnen würde. Ein Accelerator wird das in neuem Deutsch genannt, was einfach heißt, dass möglichst viel Programm in möglichst wenig Tage gepresst wird. „The World’s largest extreme accelerator focused on IT innovations. 500 people from 72 countries“ nennen es die Amerikaner, die noch nie um Superlative verlegen waren.
Es gäbe viel zu sagen und zu erzählen, aber vielleicht nicht hier. Oder doch. Eine Kleinigkeit und auch wieder nicht, weil sie für mich stellvertretend steht für so vieles.
Das Programm wird von verschiedenen Universitäten unterstützt, die dann jeweils eine Auswahl an Studenten oder Repräsentanten nach Nizza aussenden. Die Berkley Universität ist eine der Hauptträger, was den Überhang an ambitionierten Kaliforniern erklärt und die Tatsache, dass die Hochschule einen eigenen Professor stellt. Ken Singer. Managing Director des Center for Entrepreneurship and Technology. Selbstbewusster Amerikaner, rhetorisch natürlich souverän, wie es souveräner nicht geht, smart, witzig, lässig und entspannt das Poloshirt ordentlich in die Hose gesteckt, Sneakers an den Füßen: Einer den man mögen muss.
Gestern hatte er nun die undankbare Aufgabe das Problem zu adressieren, dass sich die Studentenwohnheimsleitung beschwert hat, weil es nach elf Uhr nachts noch zu laut sei. Junge amerikanische Elitestudenten, zum ersten Mal in Europa, entdecken den französischen Wein, sowie die Tatsache, dass sie hier keiner nach dem Ausweis fragt – mehr muss man dazu wohl nicht sagen. Jetzt könnte er sich hinstellen, den erhobenen Zeigefinger auspacken und das erzählen, was ich in verschiedensten Versionen schon hundert Mal von Betreuern während meines eigenen Studentenlebens gehört habe. „Ich war doch auch mal jung, aber bitte und so weiter“. Wir kennen das. Hier würde es in den meisten Fällen dann enden. Job getan. Problem angesprochen. In zwei Tagen wird das Ganze wiederholt, weil sich eh keiner daran hält.
Nur tut er das nicht. Natürlich weist er auf die Prinzipien des guten Zusammenlebens hin, dass es hier viele verschiedene Nationalitäten gibt, Menschen mit unterschiedlichem Schlafbedürfnis und dass das Ganze nur funktioniert, wenn wir aufeinander achten. Kennen wir. Doch es ist nur sein Ausgangspunkt.
Dann geht er weiter. Er sagt, er hätte sich mit einigen unterhalten und verstanden, dass es deshalb auf den Gängen so laut sei, weil die Studenten dort herumhängen, damit sie mitbekommen, wo die nächste Party stattfindet. Und deshalb hat er jemanden zum CPO, zum Chief Party Officer ernannt und der wird ab jetzt alle Parties zusammentragen und posten. Die erste sei heute Abend am Strand und er sei auch da.
Nach diesem Prinzip verfährt er auch mit der Ansprache über herumliegenden Müll. Zuerst der Hinweis auf die Erde, die wir doch alle lieben und dann aber die Frage danach, ob überhaupt ausreichend Mülleimer vorhanden sind. Falls nicht, würden sie noch welche aufstellen lassen.
Das mag einem als Petitesse und nichts Besonderes erscheinen. Ich hätte Ken Singer umarmen können. Und seine Vorlesung über Leadership und Führung, die ich schon am ersten Tag gut fand, mag ich seitdem nochmals mehr, weil ich gerade dabei zusehen kann, wie er das Gesagte auch lebt. Er ist der Professor. Den hätte er heraushängen lassen können. Hat er nicht. Er hätte es dabei belassen können, einfach nur das Problem anzusprechen und etwas anzuweisen. Hat er nicht. Er hat nicht nur gemaßregelt sondern auch – und das ist wesentlicher – nach der Ursache des Problems gesucht und eine Lösung präsentiert. Ob die richtig ist, ob die funktionieren wird, das weiß ich nicht und das weiß keiner. Aber er hat ein Problem gesehen, fühlt sich verantwortlich und tut etwas. Und das aus einer Position heraus, in der er das gar nicht muss.
Es gibt einen schönen Satz von der Komikerin Tina Fey, den ich über mir über meinem Schreibtisch gehängt habe: „Whatever the problem, be part of the solution. Don’t just sit around raising questions and pointing out obstacles.“
Genau das hat er getan. Er ging über das Verbote aussprechen hinaus, das selten etwas bringt. Er wollte wissen, warum es so laut ist und was er dagegen tun kann. Er ist Teil der Lösung und nicht nur Mahner. Er versucht zu verstehen. Und in der Suche nach der Ursache steckt der Kern, nämlich ein Menschenbild, das davon ausgeht, dass die anderen nicht zu faul oder zu dumm sind, wenn sie etwas nicht zu tun, sondern aus ihrer Situation und Logik heraus ihre berechtigten Gründe haben und intelligent handeln.
Vom Besten im Menschen auszugehen, versuchen die Ursache zu verstehen statt vorschnell zu urteilen, Teil der Lösung zu sein statt nur Probleme zu adressieren, mitanpacken – all dies versteckte sich in dieser kurzen zehn-minütigen Ansprache zum Thema Parties im Studentenwohnheim und korrekter Mülltrennung. Es war eine der besten gelebten Lektionen zum Zusammenleben und Arbeiten in einer Gesellschaft, von der ich noch nicht weiß, wie sie aussehen wird, die aber kollaborativer sein wird. Sein muss.
Es sind die kleinen Dinge. Immer die kleinen Dinge.
Über die restlichen dreihundertzwanzigtausend Vorlesungen dann vielleicht ein anderes Mal.
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Sehr gut!!! Danke für’s Mit-Teilen. Ich freue mich immer aufs Neue auf Deine Beiträge.
Herzlichst
Erika aus Kopenhagen
guter gedankenanstoss, sehr guter! danke dafür!
Weise…
Lg,
Werner
diese lektion bzw. die worte, mit denen du das erlebte beschreibst, begleiten mich seit zwei wochen. immer wieder steigt die erinnerung an diesen post in mir hoch. vielleicht, weil es ungewöhnlich ist, daß jemand so konstruktiv und menschenfreundlich an die sache herangeht. danke, daß du es aufgeschrieben hast!
Ach Danke, Eva. Weil ich lange überlegt habe, ob ich von dort schreiben soll und was. Es hat doch wenig Anknüpfungspunkte zu dem, worüber ich hier berichte. Oder dann doch wieder. Hab´es gut.
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